Die 28 Tage vergingen leider viel zu schnell und ich musste wieder zu meiner Onkologin ins Spital. Sie ging mit mir die weitere Therapie durch. Auch mein Blut wurde mal wieder kontrolliert und es sah weitestgehend alles gut aus. Die Werte waren zwar nicht so berauschend, aber ich durfte mit der richtigen Chemotherapie starten. Geplant waren sechs Chemozyklen. Der erste Chemozyklus bestand darin, dass ich die doppelte Dosis Temodal einnehmen musste, also 5x260mg. Bei den darauffolgenden Zyklen wird die Dosis nochmals erhöht.
So kam es, dass mein erster fünftägiger Chemozyklus mit 260mg am 31.07.2017 anfing. Dies war wie bereits beschrieben der Einstieg in die eigentliche Chemotherapie. Die ersten zwei Tage verliefen eigentlich recht harmlos. Ich nahm, sobald mein Wecker um 06:00 Uhr läutete, wie gewohnt mein Zofran 8mg ein und eine halbe Stunde später, wieder mittels Wecker, die Temodal 260mg und hatte leichte Müdigkeitserscheinungen. Diese Weckprozedur habe ich mir während der kombinierten Strahlen-/Chemotherapie angeeignet, da ich anschließend noch etwas schlafen konnte. Jedoch änderte sich mein Zustand am dritten Tag sehr, sehr schnell. Ich vertrug die Chemo nämlich überhaupt nicht und ich hatte regelrecht alle Zustände:
*) Übelkeit
*) Müdigkeit
*) Erbrechen
*) Schwindel
*) Schluckauf
*) Verstopfung
*) Frostattacken
*) Hitzewallungen
*) Appetitlosigkeit
*) Zuckende Augenlider
*) Kribbelnde Hände und Beine
*) Flackernde Augen sobald sie geschlossen waren
Am dritten Tag habe ich das Zimmer gewechselt und habe mir somit ein eigenes Chemoquartier geschaffen, wo ich ungestört vor mich hinvegetieren konnte. Ich lag von nun an auf einer Matratze und habe mich gewunden wie ein Regenwurm.
Mein persönliches Reich…
Ich stand nur auf wenn ich auf die Toilette musste oder irgendetwas zum Essen benötigte. Meine Mahlzeiten bestanden zum Großteil aus Schonkost, was ich jedoch auch nicht immer bei mir behalten konnte und gleich wieder erbrach. Somit saß ich meistens mit verschränkten Armen und meinem Kopf darauf abgelegt am Esstisch vor meiner Mahlzeit. Manchmal, aber nicht sehr oft, konnte ich mich überwinden, etwas zu mir zu nehmen. Nach ca. neun bis zehn Tagen hat sich mein allgemeiner Zustand rasch wieder gebessert und ich ließ mich wieder öfter bei meiner Familie blicken.
Für meine Frau und unsere kleine Tochter war dies ebenfalls eine sehr harte Zeit. Meiner Frau stand die Verzweiflung direkt ins Gesicht geschrieben. Sie wollte, aber konnte mir nicht helfen. Damit musste ich leider oder auch zum Glück selbst fertig werden, denn zuzusehen wie eine vertraute Person innerhalb von wenigen Tagen verfällt, fällt einem sehr schwer. Besuche erhielten wir sowieso sehr selten, da ich mich immerhin unter Quarantäne befand. Und wenn Besuch gekommen ist, begab ich mich meistens in mein Zimmerchen…
Ab diesem Zeitpunkt fing ich auch an, mich täglich zu wiegen, da ich auf Grund von Mangelernährung, häufigem Erbrechen und dem ständigen liegen drastisch an Gewicht verlor. Ich war ein sehr sportlicher Typ mit einem geringen Körperfettanteil und verlor dadurch viel an Muskelmasse. Man kann es sich irgendwie überhaupt nicht vorstellen, wie schnell man an Gewicht verlieren kann. Und dies war erst der erste Zyklus. Ich war sehr verzweifelt und konnte mir gar nicht vorstellen, wie ich die restlichen Zyklen überstehen soll, wo noch dazu die Dosis abermals erhöht wird. So schlimm dieser Zyklus auch war, so schnell ging es mir jedoch auch wieder besser. Nach ca. neun Tagen ließen Schwindel, Müdigkeit und Übelkeit nach. Auch alle anderen Nebenwirkungen vergingen relativ rasch. Ab Tag zehn war ich wieder einigermaßen fit. Die Pausen zwischen den Zyklen verbrachte ich mit essen und Radfahren. Wie zuvor schon erwähnt war dies mein Ausgleich. Außerdem bereiteten wir uns täglich immer einen Saft mit einem Entsafter zu, welchen wir mit Leinöl, Agavendicksaft, Pfeffer, Chiasamen, Ingwer und Kurkuma kombinierten ist dieser Saft sehr reichhaltig.
Dazwischen wurde ich von Dmitry mit technischen Skizzen auf dem Laufenden gehalten und befand mich dadurch zwischenzeitlich quasi auf Wolke sieben.
Im Nachhinein betrachtet, vergingen die Pausen zwischen den Zyklen viel zu rasch. Hatte ich mich erst einigermaßen erholt, musste ich nach ein paar Wochen, genauer gesagt am 23.08.2017 wieder ins Spital zur Blutkontrolle und zur Besprechung bzgl. des zweiten Zyklus. Die Blutabnahmen gehörten inzwischen schon zu meinem Alltag und ich wechselte nach wie vor zwischen der linken und der rechten Armbeuge hin und her. Nach der Blutabnahme musste ich noch etwas warten bis meine Onkologin mich aufrief. Als ich dann bei ihr saß, erzählte ich ihr von den Zuständen, die ich bei dem ersten Zyklus hatte. Sie teilte mir mit, dass jeder Mensch anders auf die Chemotherapie anspricht und ich offensichtlich zu jener Sorte Menschen gehöre, welche alle möglichen Zustände durchmachen müssen. Eine andere Ärztin sagte zu mir, dass die schlanken Männer der jüngeren Generation oft am meisten unter der Chemotherapie leiden. Andere Personen, mit einem habe ich gesprochen, den anderen kenne ich nur vom Hören her, welche beide einen Glioblastom haben, vertragen das Temodal komplett beschwerdefrei. Derjenige, mit dem ich gesprochen habe, hat mir sogar erzählt, dass er das Zofran gänzlich weglässt, weil er der Verstopfungen überdrüssig war. Der Andere geht nebenbei sogar arbeiten. Ich wünschte ich würde die Chemotherapien ebenfalls so einfach wegstecken wie die Beiden.
Mir wurde empfohlen, hochkalorische Trinknahrung zu verwenden um Mängelerscheinungen zu vermeiden und um meinem Gewichtsverlust entgegenzuwirken. Diese Trinknahrung bekam ich via Rezept vom Spital geliefert. Ich konnte aus vier Geschmacksrichtungen wählen. Entschieden habe ich mich für Vanille, Erdbeere und Kaffee. Gegen die Übelkeit bekam ich noch Paspertin in Tablettenform verschrieben, da es leider keine flüssige Version mehr gibt und natürlich das Temodal. Diesmal jedoch in der Dosierung 350mg. Auch habe ich schon vorher mein Chemoquatier für die nächsten zehn Tage hergerichtet. Ich machte mein Bett, ladete mir ein Buch auf meinen eReader, schrieb mir Filme auf, welche ich auf dem Tablet ansehen wollte und deponierte ein paar Fotozeitschriften, welche mir mein Vater geschenkt hatte. So gewappnet ließ ich die Tage bis zum zweiten Zyklus verstreichen.
Der zweite Chemozyklus startete planmäßig am 28.08.2017 und mir ging es die ersten zwei Tage wirklich fein. Abgesehen von den üblichen Nebenerscheinungen hatte ich keine Beschwerden. Ich konnte mir auch ein paar Filme ansehen, Zeitschriften durchblättern und eBook lesen. Jedoch fing der erwartete Horror nicht erst am dritten Tag, sondern am Abend zum dritten Tag an. Wieder mussten meine Frau und unsere kleine Tochter mitansehen, wie ich innerhalb von Stunden verfiel und mich aufgrund allerlei Nebenwirkungen auf der Bettmatratze wandte. Die Paspertin-Tabletten haben leider überhaupt nicht geholfen. Ich konnte nur noch etappenweise meine Vorhaben umsetzen, meistens jedoch lag ich einfach nur da und versuchte zu schlafen. Schlafen funktionierte eigentlich sogar am Besten, so konnte ich meine Qualen etwas überbrücken und die Tage vergingen einigermaßen schnell. Da ich untertags die meiste Zeit schlief, fand ich nachts leider keinen Schlaf mehr. Die innere Uhr hatte sich bei mir komplett umgedreht. Somit pendelte es sich langsam aber doch so ein, dass ich den Tag mit Schlafen, Essen und Toilettengang verbrachte und nachts Filme streamte oder ein Buch auf meinem eReader laß, aber dies leider auch nur etappenweise. Essen war nach wie vor ein Problem. Die Trinknahrung schmeckte mir überhaupt nicht und ich verschenkte diese Fläschchen an eine Frau, welche diese für ältere Personen benötigte. Das „All in“ welches meine Frau beim DM-Drogeriemarkt gefunden hatte schmeckte mir wesentlich besser. Vor allem wenn es kalt aus dem Kühlschrank kommt. Warm würde ich selbst dieses Zeug nicht runterbekommen. Meistens aß ich gedämpftes Hühnerfleisch und gedämpftes Gemüse, Kartoffeln mit etwas Butter und Salz, etwas Milchreis mit Mandelmilch oder Haferschleimsuppe. Diese Gerichte bereitete mir meistens meine Frau zu. Manchmal jedoch hat man einen Gusto auf genau das, was man eigentlich nicht essen sollte. Zum Beispiel Schokolade oder andere Süßigkeiten…
Damit komme ich auch gleich zum nächsten Thema: Der Toilettengang – dieser bestand entweder darin, dass ich meinen Kopf über die Kloschüssel beugte oder damit dass ich harte Bröckeln mit großer Anstrengung rauspressen musste. Jaja, Zofran sei Dank… Aber auch der zweite Zyklus ging irgendwann zu Ende und ich konnte nach ca. zehn Tagen wieder mit geistiger Anwesenheit glänzen. Ich konnte dann auch wieder meine täglichen Runden mit dem Fahrrad fahren und essen was das Zeug hält. Denn mein Gewicht sank trotz alle dem stetig…
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